BLUTBAD IM BALLKLEID
- Raha Tawkal
- 6. Jan.
- 4 Min. Lesezeit
Spritzen, Splatter und der Schönheitswahn von „The Substance”
In ihrem zweiten Spielfilm erschafft die französische Regisseurin Coralie Fargeat eine bizarre Dystopie voller Sterilität, Exzess und obsessiven Jugendwahn. Auf 140 Minuten dehnt sich in The Substance eine Mischung aus satirischem Body-Horror, gesellschaftlicher Abrechnung und ästhetischem Blutbad aus. Scheinbar verteilt auf 60 Minuten Plot und 80 Minuten, in denen sich Gewalt, Mutation und Splatter zu einem mal verstörenden, mal faszinierenden Fieber- und Albtraum zugleich verdichten – so intensiv, dass viele Zuschauer*innen vor Ekel sogar die Flucht aus dem Kinosaal ergreifen.

„Wer wird die neue Elisabeth Sparkle?”
Elisabeth Sparkle (Demi Moore) ist vieles: oscarprämierte Schauspielerin, Fitness-TV-Ikone, Hollywoodstar. Eines ist sie jedoch nicht (mehr): jung. In einer Welt, die Schönheit und Jugend vergöttert und gleichzeitig das Altwerden zur Todsünde erklärt, sieht sich Elisabeth daran erinnert, dass Erfolg, Ruhm und Geld einem unnachgiebigen Gegner stets unterlegen bleiben: der Zeit und dem damit einhergehenden natürlichen Lauf des Alterns – zumindest bis „The Substance”.
Der Film wird mit Elisabeths 50. Geburtstag eingeläutet, der gleichzeitig das Ende ihrer TV-Karriere bedeutet. Der Sender, der sich seit Jahren an Elisabeths Beliebtheit bereichert, feuert sie kurzerhand, da sie nun zu alt für die Show sei. Dennis Quaid tritt hier als schmieriger und widerwärtig berechnender Fernsehproduzent Harvey auf, dem nichts als Quoten, Profit und das Prinzip „Sex sells“ am Herzen liegt. Von zynischem Eifer geleitet startet er nach Elisabeths Kündigung ein Casting, um die „neue” Elisabeth Sparkle zu finden. Gekränkt vom demütigenden Wissen, so leicht ersetzbar zu sein, stößt Elisabeth auf das Wundermittel „The Substance“, das ewige Jugend und Schönheit verspricht – eine Begegnung, die zu einer brutalen Transformation ihres Lebens führt.
„Remember you are one”
Nach der ersten Injektion der Substanz vollzieht sich ein Zenit des körperlichen Grauens, der zugleich den Wendepunkt des Films markiert. Elisabeths Rücken wird von einem tiefen Schnitt aufgerissen. Aus ihrem bewusstlosen Körper „gebärt“ sie förmlich eine jüngere, schönere Version ihrer selbst. Die makellose Doppelgängerin, die den Namen „Sue“ (Margaret Qualley) annimmt, ist dabei keine harmlose zweite Chance, sondern der Beginn einer unheilvollen Abhängigkeit. Jede Woche müssen die beiden Rollen tauschen, eine lebt und erlebt, während die andere lediglich am Leben erhalten wird. Sue übernimmt in ihren Wochen Elisabeths Leben, sogar deren TV-Show, und wird blitzschnell die „neue Elisabeth Sparkle“. Mit dem Slogan „Remember you are one“ betont „The Substance” die enge Verbindung zwischen den beiden Ichs.
Doch was beginnt wie ein Traum, wird schnell zu einem Albtraum. Während Sue Ruhm und Glanz genießt, wird Elisabeth zur anonymen Hülle, ihr Körper altert und zerfällt immer mehr. „Remember you are one“ verliert seine Bedeutung in einem Machtkampf, bei dem Sue die Oberhand gewinnt – auf Kosten von Elisabeths Leben. Die Dynamik kippt, als Sues Gier nach Perfektion und Elisabeths physischer Zerfall zunehmend außer Kontrolle geraten. Mit jeder Szene enthüllt The Substance die Brutalität hinter der Obsession mit ewiger Jugend und Schönheit. Die Wendungen im Film werden zu einem erschütternden Kommentar über gesellschaftliche Schönheitsideale und die zerstörerischen Konsequenzen eines unstillbaren Strebens nach Perfektion.
Das Finale des Films treibt die Narrative an die Spitze ihrer Groteske. Als Sue beginnt, die notwendige wöchentliche Körperrotation auszusetzen, verliert Elisabeth auch die letzten Reste ihrer Menschlichkeit. Schließlich stehen sich beide in vollem Bewusstsein gegenüber – eine verwesende Hülle und eine Göttin der Jugend. Es kommt zu einem erbarmungslosen Kampf um Kontrolle und Existenz, der die Essenz des Films auf den Punkt bringt. So manifestiert sich ein Monstrum, das schließlich nicht nur die Protagonistinnen, sondern auch die gesamte Welt um sie herum in den Abgrund reißt.
Blut, Wahnsinn und Gesellschaftskritik in Hochglanz
Trotz der ein oder anderen Ungereimtheit in der Erzählung, etwa der Tatsache, dass Elisabeth für das lebensverändernde Produkt scheinbar nie bezahlt (außer mit ihrem Leben), serviert Fargeat einen herausragenden Film, der auf die dunkelsten Seiten von Schönheits- und Jugendwahn zielt und mit chirurgischer Präzision trifft. Während Sue die Öffentlichkeit mit ihrer makellosen Jugend und Dynamik begeistert, wird Elisabeth zu einem unsichtbaren Opfer eines Systems, das nur Äußerlichkeiten anerkennt. Coralie Fargeat nutzt diesen Umstand nicht nur als Vorlage für exzessiven Body-Horror, sondern auch als scharfe Reflexion gesellschaftlicher Zwangssysteme. Der endlose Hunger nach Schönheit und die brutale Disziplin, mit der insbesondere Frauen dazu angehalten werden, den Kampf gegen das Alter niemals aufzugeben, spiegelt sich im Schicksal von Elisabeth wider und macht den Film zu einem feministischen Meisterwerk. Die persönliche Geschichte von Demi Moore, die bekannterweise auch schon viele Schönheitseingriffe unternommen hat, verschmilzt dabei mit ihrer Rolle als die „verbrauchte” und gequälte Elisabeth. Auch Margaret Qualley als Sue ist treffend besetzt, da ihr als Tochter der berühmten Schauspielerin Andie MacDowell Erfolg förmlich in den Schoß gelegt wird – so wie auch Sue der Erfolg leicht zukommt. Beide Darstellerinnen beeindrucken mit ihren schauspielerischen Leistungen: Moore verleiht ihrer Figur eine Mischung aus Verzweiflung, Wut und Unsicherheit, während Qualley in ihrer Rolle als Sue Kälte, Skrupellosigkeit, gleichzeitig aber auch Verletzlichkeit überzeugend verbindet, und so das Bild des Erfolgs auf eine düstere Weise entwirft.
Gegen Ende hin entwickelt sich The Substance jedoch zu einem so übertriebenen, surrealen Spektakel, sodass man den Film im letzten Drittel fast schon als Komödie begreifen kann, insbesondere durch den immensen Überschuss von verprasstem Kunstblut und Splatter. Dennoch bleibt die gesellschaftliche Kritik immer greifbar. So führt Fargeat uns in einen Film, der seine Ernsthaftigkeit niemals ganz verliert, selbst wenn er das Maß des Absurden sprengt. Mit ungefiltertem Ekel fordert sie Zuschauer*innen heraus, genauso wie sie sie ästhetisch fasziniert. Der Soundtrack, komponiert vom britischen Musiker Raffertie, unterstreicht die düstere und gleichzeitig glänzende Welt des Films ideal. Mit treibenden Techno-Elementen schafft die Musik eine dichte, hypnotische Atmosphäre, die die surreale Szenerie von The Substance begleitend formt und verstärkt. Es sind genau diese Elemente, die den Film im Ganzen zu einem Gefühl der kühlen Grausamkeit führen. Coralie Fargeat gewährt hier keinen Ausweg, keine Erlösung: Was bleibt, ist ganz viel Blut, und das Chaos aus zerbrochenen Träumen und zerstörten Körpern. The Substance ist unbequem, eklig und oft an Absurdität nicht zu überbieten – und genau deshalb so imposant.
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