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AutorenbildRaha Tawkal

Sternschnuppen am Wüstenhimmel

Aktualisiert: 26. Dez. 2020

Das Aufklingen eines eritreischen Liedes reißt uns urplötzlich aus dem Schlaf. Das Zelt, in welchem wir uns befinden, ist stockdunkel. Nicht einmal Silhouetten sind zu erkennen, sodass es keinen Unterschied macht, ob unsere Augen geöffnet oder geschlossen sind. „Wer hat das denn angemacht?”, frage ich meine Cousine Mary, die auf der Matratze neben mir liegt, ihre Schwester Helen auf der Matratze rechts von ihr. „Das muss Autoplay sein, ist bestimmt von alleine angegangen.” Zuvor hat sie zum Einschlafen eine 30 Minuten lange „geführte Meditation” auf ihrem Handy abspielen lassen. Sie hat schnell auf uns gewirkt. Doch die laute Musik hat diesen Schlaf, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte, innerhalb einer Sekunde unterbrochen. Und wir sind hellwach.


Wir befinden uns mitten in der Zagora Wüste in Marokko. Die Entscheidung einen zweitägigen Ausflug in die Wüste zu unternehmen, kam ziemlich spontan. Hassan, der Manager unseres Riads in Marrakesch, hat uns diesen Kurztrip ans Herz gelegt. Am nächsten Tag sitzen wir aufgeregt im Bus. Eine große Anzahl an Touristen aus aller Welt auf den Sitzen hinter uns. Bevor es losgeht, erklärt uns Hassan den ungefähren Ablauf des Ausflugs. Die Fahrt ginge zwischen drei und fünf Stunden. Als ich das höre, wird mir etwas unwohl, denn lange Fahrten bekommen mir normalerweise überhaupt nicht. Aber für eine Nacht in der Wüste würde es sich sicherlich lohnen. Gegen sechs Uhr morgens werden wir von unserem Riad abgeholt. Die Abfahrt in die Wüste zieht sich jedoch hin. Wir fahren erstmal zu einem lokalen Cafe. Dort treffen alle Busse aufeinander und die Fahrer besprechen den Ablauf der Reise bei einem Frühstück und einer (oder mehreren) Tasse(n) schwarzem Tee. Da die Reiseagentur zwei separate Wüstentrips anbietet, eine in die Zagora Wüste und eine in die größere Merzouga Wüste, werden die Reisenden anschließend nach Reiseziel in die Busse eingeteilt. Sobald alle Personen sich im richtigen Bus befinden, geht es endlich los. Eine knappe Stunde nach der Abholung vom Riad.


Die Fahrt lässt sich als „ereignisreich” beschreiben. Wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine dreistündige Fahrt in die Wüste, mit einer circa 15 minütigen Pause handelt, dann liegt man ganz falsch. Ich bin genau davon ausgegangen. Wir sind nicht drei, auch nicht fünf, sondern ganze zehn Stunden unterwegs. Zehn lange Stunden. Wenn Hassan mir das vor der Abfahrt gesagt hätte, wäre ich mit Sicherheit im Riad geblieben. Letztendlich bin ich jedoch glücklich über seine nicht allzu ehrliche Beschreibung, denn dieser Ausflug war das Schönste, was ich bisher mit meinen überschaubaren 19 Jahren erleben durfte. Den ersten Stopp haben wir am Straßenrand, 100 km von Marrakesch. Dort finden wir uns in einem ganz besonderen Laden wieder. Wenn man den Laden betritt, sieht man zunächst viele Regale mit verschiedenen Pflegeprodukten. Jegliche Produkte wurden aus Arganöl hergestellt. Arganöl ist ein Speiseöl, welches die Marokkaner zur Herstellung verschiedener Pflegeprodukte für Haare, Nägel oder Haut benutzen. Doch die große Auswahl an Produkten ist nicht die Besonderheit an dem Laden. Wendet man seinen Blick nach rechts, so entdeckt man sie. Zu sehen sind drei marokkanische Frauen mittleren Alters, die auf dem Boden sitzen und die Früchte des nur im Süden Marokkos vorzufindenden Arganbaums pressen, um so das einzigartige Arganöl zu erhalten. Der Anblick ist beeindruckend.



Nach etwa 25 Minuten und mit einigen neuen Pflegeprodukten in den Taschen, fahren wir weiter. Unser Fahrer spielt durchgängig traditionelle Musik, was uns allen gute Laune bereitet. Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir dann an unser nächstes Ziel. Aït-Ben-Haddou. Ein ganz besonderer Ort und seit 1987 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Einige kennen den Ort bereits aus der Fernsehserie „Game of Thrones”. Diese kleine befestigte Berberstadt in den Bergen, ist ein Drehort für die weltbekannte Serie gewesen. Doch nicht nur die Produzenten von Game of Thrones sind von diesem Ort als Filmkulisse fasziniert, es wurden auch weitere Filme dort gedreht, unter anderem „James Bond 007 - Der Hauch des Todes”. Mich überrascht die Beliebtheit keineswegs, denn Aït-Ben-Haddou ist ein wirklich beeindruckender Ort, in den man sich schnell verlieben kann. Nicht nur die interessante Bauart der Häuser, sondern auch die liebevollen Einheimischen tragen dazu bei. Unser Reiseführer, zeigt uns den gesamten Ort. Die Führung ist alles andere als entspannt. Die Hitze ist kaum zu ertragen und die Tatsache, dass wir einen Berg hinauf wandern, macht es nicht gerade erträglicher. Dennoch hat sich die Anstrengung gelohnt, denn der Ausblick vom Höhepunkt ist atemberaubend. Vor allem, für Großstadtkinder, die nie wirklich weiter als bis zum nächsten hohen Haus sehen können.


Anschließend wird uns gezeigt, wie man sich eine „Kufiya” umbindet. Ein Kopftuch, welches vor den Sandstürmen in der Wüste schützt. Wir kaufen uns drei Tücher. Der Aufenthalt dauert ungefähr anderthalb Stunden. Nach ein paar Stunden und einigen weiteren Stopps, die uns den Genuss von großartigen Aussichten bieten, erreichen wir unseren letzten längeren Stopp. Die Berberstadt "Ouarzazate". Sie wurde 1928 von der französischen Kolonialverwaltung gegründet und dient ebenfalls als Filmkulisse. Die Nachmittagssonne ist hier noch schwerer zu ertragen als in Ait Ben Haddou. Auch hier bekommen wir eine Tour und werden zu den wichtigsten Orten der Stadt geführt. Allerdings nicht von irgendeinem Reiseleiter, sondern von dem herzlichsten älteren Mann, den wir je getroffen haben. Er informiert uns über die Geschichte des Ortes und führt uns herum.



Nach Beendigung der Tour führt er uns zu einem Teppichgeschäft. Dort erwarten uns bereits zwei Verkäufer. Sie präsentieren uns verschiedene Teppiche mit beeinträchtigenden, wunderschönen Designs und einige unserer begleitenden Reisenden kaufen etwas. Leider können wir es uns im Moment keines der Produkte leisten, aber wir freuen uns dennoch die Stücke zu sehen. Am Ende der Präsentation holt uns unser Reiseleiter ab und bringt uns auf die Dachterrasse des Gebäudes. Wir haben nicht nur die Möglichkeit, eine weitere schöne Aussicht zu genießen, sondern können auch hautnah miterleben, wie die Teppiche, die wir gerade unten bewundert haben, hergestellt werden. Um einen Ben Ourain-Teppich herzustellen, benötigt man eine talentierte Person, die sich mit ihrem Kunsthandwerk auskennt, üblicherweise eine ältere Dame, und einen Webstuhl. Sie knotet den Teppich mit ihren Fingern und kreiert so die schönen Muster. Während wir ihr dabei zuschauen, serviert uns eine weitere Frau schwarzen Tee und wir können uns auf einer Sitzecke entspannen. Unser Reiseleiter unterhält uns mit Geschichten und wir unterhalten uns alle miteinander, während wir unseren Tee trinken und uns amüsieren. Bevor die Fahrt weitergeht, machen meine Cousinen ​​und ich ein Foto mit unserem Reiseleiter, da wir eine Menge Spaß hatten, er so lieb war und außerdem viel Wissen über Eritrea hatte.


(Helen, Mary, Tourguide, Me)


Um ca. 18 Uhr kommen wir endlich in der Oasenstadt Zagora an. In Zagora, dem Tor zur Wüste, kaufen wir uns noch ein paar Wasserflaschen, die uns über den Abend, die Nacht und den nächsten Morgen halten sollen. Und dann sehen wir auch schon die zahlreichen Kamele, groß und majestätisch. Eine kleine Gruppe junger Nomaden des Berberstammes erwartet uns bereits mit leuchtenden Augen und breitem Lächeln. Unser Guide heißt ebenfalls Hassan. Seine karamellfarbene Haut, sieht im Licht der Abendsonne besonders makellos aus und sein langes blaues Gewand, Djellaba genannt, bewegt sich ganz sanft im leichten Wind und passt perfekt zu seinem weißen Turban. Er hilft uns, die Kufyias umzubinden, denn trotz der Lehreinheit in Aït-Ben-Haddou, haben wir Probleme die Tücher richtig zu befestigen. Anschließend werden uns Kamele zugeteilt. Da ich mit meinen knappen 1,50 Meter mit Abstand die Kleinste in der Truppe bin, bekomme ich das jüngste Kamel. Und so geht es schaukelnd und singend in die unendlich erscheinende Weite der Sahara, der untergehenden Sonne entgegen. Auf dem Weg zu unserem Camp, unterhält Hassan uns, schießt Bilder von, sowie mit uns und reicht uns die köstlichen Früchte der Dattelpalmen.

Zagora desert, Morroco.

Zagora desert, Morocco. Nach etwa einer Stunde Kamelritt und leicht schmerzenden Beinen kommen wir an.

Das Camp umfasst 13 Zelthütten, die im Kreis aneinander gereiht sind. Während die Kamele sich ausruhen, begeben wir uns in unsere Zelte und erkunden sie ein wenig. Die Zelte sind relativ einfach gehalten, unseres beinhaltet fünf Matratzen und reichlich viele Decken. Doch an Schlaf ist noch lange nicht zu denken. Wir werden zum Essen im großen Speisezelt gerufen. Es gibt eine traditionelle Tajine” mit Gemüse und Hähnchen. Zum Nachtisch essen wir leckere Honigmelonen. Als wir das Abendessen beenden und aus dem Zelt kommen, erwarten die Berber uns bereits mit schwarzem Tee und Nüssen zum Naschen. Wir setzen uns auf die Teppiche und stellen uns gegenseitig vor. Unsere Gruppe ist sehr divers, fast jeder Kontinent ist vertreten. Meine Cousinen und ich kommen aus Berlin, unser Ursprung liegt jedoch in Eritrea, dem Land am Horn von Afrika. Ein Pärchen kommt aus Belgien, weitere aus Spanien, Ägypten und Frankreich. Ein Amerikaner, eine Japanerin und eine Kubanerin sind ebenfalls Teil der Gruppe. Nun ist es bereits dunkel, doch die zahlreichen Sterne am Himmel und der hell leuchtende Mond, schenken uns genügend Licht. Dann ertönen schon die ersten Trommelklänge, Hassan und seine Freunde beginnen zu singen. Eine Rassel gesellt sich dazu, der Gesang wird lauter, die Stimmung immer lockerer. Ich fühle mich frei, schaue in den Sternenhimmel und genieße die Musik. Es werden Instrumente rumgereicht, wir probieren uns daran aus, tanzen, lachen und singen gemeinsam. In diesem einen Moment verblassen alle Sorgen, die uns zuhause erwarten und es gibt nur das Hier und Jetzt. Langsam verabschieden sich die ersten, wünschen uns eine gute Nacht und begeben sich in ihre Zelte. Auch wir werden müde. Mary bleibt noch etwas länger draußen, während Helen und ich uns bettfertig machen. Draußen ist es bereits ruhig geworden, nur das Bellen der vielen Wüstenhunde ist zu hören. Nach einer Weile kommt Mary ins Zelt und erzählt uns, dass Hassan gerne gemeinsam nach Sternschnuppen suchen würde. Natürlich lassen wir uns diese Chance nicht entgehen, denn es scheint als würden alle bereits schlafen, also haben nur wir diese Möglichkeit. Wir treten in unseren Schlafanzügen aus dem Zelt. Hassan führt uns mit einer großen Decke im Arm zu einer relativ hohen Düne und breitet die Decke aus. Wir legen uns hin, den Blick auf den wunderschönen Wüstenhimmel. Hunderte Sterne erleuchten ihn. Ich lasse meine Füße und Hände in den Wüstensand gleiten. Je tiefer sie gehen, desto wärmer und geschmeidiger wird der Sand, ein sehr angenehmes Gefühl. Es dauert etwas, bis wir endlich die erste Sternschnuppe entdecken, eng gefolgt von weiteren. Noch nie zuvor habe ich eine gesehen. Man sagt, Sternschnuppen lassen Wünsche wahr werden. So wünsche ich mir, dass dieser Moment ewig verbleibt und genieße diese unvergessliche Wüstennacht.


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